„Meine Kollegen zogen ihre Mützen ab, und ich sah die kahlen Köpfe“
Der Düsseldorfer Edelweißpirat Werner Heydn (1925-1991) erzählt

„In der Hitlerjugend war ich nicht, weil ich den ganzen militärischen Drill nicht mochte. Ganz zu Anfang war ich mal in diesem Jungvolk. Aber mein Vater war ein alter Sozialdemokrat, der zwar nicht besonders aktiv war, aber mich doch gegen Krieg und Militarismus beeinflusst hat. Unser Kreis junger Leute fand sich als Gleichgesinnte gegen den Drill der Nazis und gegen ihre politischen Ziele zusammen. Das waren Jungs aus verschiedenen sozialen Schichten. Wir trafen uns und spielten gemeinsam Lieder auf unseren Gitarren. Wir wollten eigentlich einfach nur wie Jugendliche leben, nach der Arbeit, auch in Nachtschichten. Dazu kam, dass sich die Nazis und die Gestapo für uns interessierten, obwohl wir ja gar nicht aus unmittelbar politischen Gründen zusammen waren, und wir bekamen den Druck bald zu spüren. Wir wurden zu Vernehmungen in die Leitstelle der Gestapo in der Prinz-Georg-Straße [Hausnummer 98, d. Red.] bestellt. Man hat uns gewarnt, wir sollten das nicht weitermachen, wir könnten ja doch auch bei der Hitlerjugend wandern und marschieren und unsere Lieder singen. Aber wir waren uns eigentlich alle einig und reagierten auf diesen Druck mit Gegendruck, wir wollten mit den Nazis nichts zu tun haben.
Wir waren in Gerresheim etwa ein Dutzend junge Leute. Aber solche Gruppen gab es auch unabhängig von uns in anderen Stadtteilen. Da gab es einen beliebten Treffpunkt im Ostpark und im Floragarten. Wir fuhren mit unseren Fahrrädern mal hin, oder die anderen kamen mal hierher. An den Wochenenden unternahmen wir manchmal Wanderungen. Da wir dabei natürlich nicht die Uniformen der Hitlerjugend trugen, eckten wir unterwegs oft mit Streifendiensten der HJ an. Es gab dann schon mal Schlägereien. Bei einer dieser Auseinandersetzungen auf Schloß Burg habe ich mal meine Gitarre kaputtgeschlagen. Wir bekamen also am eigenen Leib zu spüren, zu was die Faschisten bereit waren, nur weil man nicht mit ihnen gemeinsam marschierte und nicht in den Krieg gegen andere Völker wollte. Das führte auch dazu, dass wir schon mal den englischen Radiosender hörten, um mehr Informationen zu erhalten.
Mit der Zeit kamen wir immer mehr in eine Gegensätzlichkeit zur Politik der Nazis. Über eine Bekannte, die Schwester von Irmgard Mensching, mit der ich zusammen zur Schule ging, lernte ich dann 1940 oder ’41 Alfons Kaps (
einen Kommunisten, Red.) kennen. Den Namen erfuhr ich erst bei meiner Verhaftung. Wir haben uns hin und wieder getroffen, und ich bekam von ihm Flugschriften und Handklebezettel. Die waren manchmal mit solchen Kinderdruckkästen hergestellt. Er fragte mich schließlich, ob ich bereit sei, mehr zu tun, als nur mit den Jungens abends irgendwelche Lieder zu singen. Ich habe dann also auch solche Zettel verteilt. Wir steckten sie abends in die Briefkästen oder unter den Wohnungstüren durch. Im Betrieb habe ich manchmal während der Nachtschicht diese Zettel ans Schwarze Brett geheftet. Es gab dann große Aufregung. Dieser Kampf war natürlich nicht ungefährlich, auch Alfons Kaps ermahnte mich immer wieder zur Vorsicht. Inzwischen wusste man ja auch schon einiges über KZs und wie die Nazis mit ihren Gegnern umgingen. (...)
Ich hatte auch einige aus der Firma Losenhausen gewonnen, in unserer Gruppe mitzumachen. Dieses Mitmachen bestand äußerlich immer nur darin, dass man sich traf, um Lieder zu singen oder sich zu unterhalten. Es wurde natürlich auch viel diskutiert.
Einmal bin ich durch einen dummen Zufall bei einem solchen Treffen mit einem blauen Auge davongekommen: Wir hatten uns abends im Ostpark verabredet. Ich fuhr mit etwas Verspätung dorthin. Das machte nichts, weil wir uns ja ganz zwanglos trafen. Da kam auch mal einer ein bisschen später. An diesem Abend hatte die Gestapo uns aufgelauert, alle in Transportwagen in die Prinz-Georg-Straße gefahren, hatte allen eine Glatze geschnitten und selbst noch die Kopfhaut rasiert. Als ich nun später in den Park kam und niemanden fand, dachte ich, dass die anderen zum Floragarten gefahren wären. Aber auch da war niemand. Erst am nächsten Morgen im Betrieb kamen zwei oder drei meiner Arbeitskollegen mit Hut oder Mütze zur Arbeit. Ich habe erst gefragt. Ein Kollege, Franz Zehnpfennig, und auch die anderen zogen daraufhin ihre Mützen ab, und ich sah die kahlen Köpfe. Dann haben sie mir erzählt, was passiert war. Das Ganze war natürlich sehr geschickt von der Gestapo, denn die Glatze, das war fast ein Judenstern. Freiwillig rasiert sich ja niemand so. Dadurch wussten die Leute gleich, dass es sich um jemanden handeln musste, der bei der Gestapo unangenehm aufgefallen war. (...)
Aber wir wurden auch manchmal durch Mitglieder der Hitlerjugend verfolgt. Wenn wir am Wochenende auf unseren Touren waren, trugen wir ganz bewusst bunte Hemden und Lederhosen, um dadurch klar zu machen, dass uns die Uniform suspekt war. Mit dieser Kleidung fielen wir natürlich auf, und es kam zu Konflikten und Anpöbelungen. Klar, dass wir uns das nicht gefallen ließen und dann auch manchmal nachgeholfen haben. Wir waren ja auch einige kräftige Jungens, da gab es schon mal Kleinholz.“

Aus: „Erlebtes und Erlittenes. Gerresheim unter dem Nationalsozialismus. Berichte – Dokumente – Erzählungen“. Hrsg. Landeshauptstadt Düsseldorf / Bezirksverwaltungsstelle 7 in Verbindung mit der Mahn- und Gedenkstätte und dem Stadtarchiv, Düsseldorf 1993

HERVORHEBUNG:
Er fragte mich schließlich, ob ich bereit sei, mehr zu tun, als nur mit den Jungens abends irgendwelche Lieder zu singen.


BILDMATERIAL:
- Foto Werner Heydn mit Gitarre
- Erkennungsdienstliche Erfassung Werner Heydn
- Klebezettel Kaps Knöchel